Der 3. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung
vom 4. Juli 2018.
1) Der Senat hat auf die Revision der
beklagten Schiedsstelle das Urteil des LSG aufgehoben und die Klage des
GKV-Spitzenverbands gegen den Schiedsspruch betreffend das Arzneimittel
Eperzan® (Wirkstoff Albiglutid) für die Zeit ab 1.10.2015 abgewiesen.
Gegen die Bildung eines sog Mischpreises bestehen entgegen der
Ansicht des LSG keine durchgreifenden allgemeinen rechtlichen Bedenken.
Denn nach dem Arzneimittelpreisrecht gilt für ein Arzneimittel
grundsätzlich nur "ein" Preis und daran anknüpfend auch nur ein nach
§ 130b SGB V festzulegender, von den Krankenkassen zu Gunsten des
betroffenen pharmazeutischen Unternehmens zu leistender
Erstattungsbetrag (vgl § 78 Abs 3a AMG). Bei einer am Zusatznutzen
orientierten Kalkulation ist deshalb die Bildung eines Mischpreises
unerlässlich, wenn der GBA in einem Beschluss zur frühen Nutzenbewertung
(§ 35a SGB V) den Zusatznutzen oder die zweckmäßige Vergleichstherapie
für unterschiedliche Patientengruppen verschieden bewertet hat. Die
Festsetzung eines Erstattungsbetrages erfolgt in erster Linie in einem
von nur wenigen gesetzlichen Vorgaben flankierten Verhandlungsprozess.
Erstattungsbeträge in Form von Mischpreisen verstoßen dabei
grundsätzlich weder gegen normative Regelungen einschließlich des
Wirtschaftlichkeitsgebots noch gegen Verfassungsrecht. Das in § 130b
Abs 3 S 1 SGB V aF statuierte - inzwischen durch eine Soll-Vorschrift
ersetzte - Verbot, Erstattungsbeträge festzusetzen, die die Kosten der
zweckmäßigen Vergleichstherapie überschreiten, gilt nur für (hier ja
gerade nicht betroffene) Arzneimittel ohne Zusatznutzen. Als
Durchschnittswert, der die unterschiedlichen Nutzenbewertungen der
gesamten Patientenpopulationen berücksichtigt, gleichen sich die teils
zu hohen und teils zu niedrigen Erstattungsbeträge bei einer
Gesamtbetrachtung im Endeffekt aus, wenn die Verteilung des
Arzneimittels auf Patienten mit und ohne Zusatznutzen rechnerisch
angemessen berücksichtigt wird.
Ob und unter welchen
Voraussetzungen sich die verordnenden Vertragsärzte einer Regressgefahr
aussetzen, wenn sie im Einzelfall ein Arzneimittel in der
Patientengruppe ohne Zusatznutzen zum Mischpreis verordnen, bedarf in
diesem Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn dies hat auf die
durchschnittliche Wirtschaftlichkeit des festzulegenden Mischpreises
keinen Einfluss. Dass Vertragsärzte im Einzelfall das bei gleichem
medizinischen Nutzen wirtschaftlichste Arzneimittel zu verordnen haben,
bleibt von der Mischpreisbildung grundsätzlich unberührt.
Der
hier von der beklagten Schiedsstelle konkret festgesetzte
Erstattungsbetrag ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein
Erstattungsbetrag ist nutzenadäquat festzusetzen, ohne dass das Gesetz
in allen Details Vorgaben dazu enthält, nach welchen Kriterien der vom
GBA festgestellte Zusatznutzen monetär zu bewerten ist. Die
Schiedsstelle entscheidet nach § 130b Abs 4 S 2 SGB V unter freier
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt die
Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes, die Jahrestherapiekosten
vergleichbarer Arzneimittel, die Abgabepreise in anderen europäischen
Ländern sowie die weiteren Vorgaben der Rahmenvereinbarung (§ 130b Abs 9
S 1 bis 3 SGB V). Dieser - vor allem bei geringer Datenbasis - besonders
weite Beurteilungsspielraum der Schiedsstelle wird über die genannten
materiell-rechtlichen Vorgaben hinaus insbesondere durch strukturelle
gesetzliche Vorgaben flankiert, nämlich die paritätische und sachkundige
Besetzung der Schiedsstelle und den vorrangig zu betreibenden Einigungs-
und Aushandlungsprozess. Das sich daraus ergebende Gesamtsystem bietet
hinreichende Vorkehrungen gegen willkürliche Entscheidungen der
Schiedsstelle.
Den normativen Vorgaben für die Bildung des
Erstattungsbetrags kann jedoch nicht entnommen werden, dass der Betrag
für den Zusatznutzen, für den die Beklagte hier 1200 Euro angesetzt hat,
in einer bestimmten algorithmisch zu ermittelnden Relation zu den Kosten
der zweckmäßigen Vergleichstherapie stehen müsste, die hier zwischen
46,27 Euro und 252 Euro lagen. Die Beklagte hat ihren
Beurteilungsspielraum weder diesbezüglich überschritten, noch
hinsichtlich der Prognose, dass 80 % der Verordnungen von Eperzan® in
dem Bereich der Patientengruppe b1) mit Zusatznutzen erfolgen werden.
Denn die Annahme, dass die Vertragsärzte ein Arzneimittel
überproportional häufig solchen Patienten verordnen werden, die einer
Patientengruppe mit festgestelltem Zusatznutzen zuzuordnen sind,
erscheint sachgerecht und stellt keine Abweichung vom Beschluss des GBA
dar, der - insoweit andere - Feststellungen allein zum
Patientenaufkommen enthielt. Vor diesem Hintergrund ist auch die
Begründung des Schiedsspruchs ausreichend. Diese muss die Gründe für das
gefundene Ergebnis wenigstens andeutungsweise erkennen lassen (vgl
insoweit allgemein bereits zB BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2,
RdNr 60 mwN).
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 9 KR
213/16 KL
Bundessozialgericht - B 3 KR 20/17 R
2)
Die Revision der beklagten Schiedsstelle war auch in dieser Sache
erfolgreich. Das LSG-Urteil war aufzuheben und die Klage gegen den
Schiedsspruch abzuweisen. Entgegen der Ansicht des LSG hat die
Schiedsstelle die Höhe des Erstattungsbetrags für das Arzneimittel
Zydelig® (Wirkstoff Idelalisib) ab 24.9.2015 revisionsrechtlich
beanstandungsfrei festgelegt.
Der Bildung eines sog
Mischpreises standen ebenso wie im vorangegangenen Revisionsverfahren
Rechtsgründe nicht entgegen. Bei der Festlegung des Erstattungsbetrags
überschritt die Beklagte nicht ihren - gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbaren - Gestaltungsspielraum. Die Inhaltskontrolle des
Schiedsspruchs ergibt keine revisionsrechtlich zu beanstandenden Fehler
im Hinblick auf den zugrunde gelegten Sachverhalt und die herangezogenen
rechtlichen Maßstäbe. Die Schwierigkeit der Schiedsstelle, einen
einheitlichen Erstattungsbetrag festlegen und den Zusatznutzen
monetarisieren zu müssen, beruhte im Wesentlichen darauf, dass der GBA
nur für zwei Teilpatientengruppen einen Zusatznutzen annahm, den er
nicht quantifizieren konnte und dabei große Spannbreiten für die
Patientenzahl angab. Die Schiedsstelle hat dies auch in diesem Verfahren
in freier Würdigung der Umstände des Einzelfalls, unter Berücksichtigung
der Besonderheiten des Therapiegebietes und anhand des zutreffenden
Normprogramms (§ 35a Abs 3 SGB V, § 130b Abs 1 S 1, Abs 4 S 2 iVm Abs 9
S 3 SGB V iVm der Rahmenvereinbarung) gelöst. Der Erstattungsbetrag ist
das Resultat der originären Abwägungsentscheidung der Beklagten und
bewegt sich im vertretbaren oberen Bereich des Korridors der von den
Vertragspartnern gestellten Anträge. Anhaltspunkte für sachwidrige
Erwägungen oder Willkür ergeben sich nicht. Angesichts einer
wissenschaftlich noch nicht abgesicherten Datenlage über den
Zusatznutzen des Arzneimittels war der Erstattungsbetrag eine
Kompromisslösung, die allen Unwägbarkeiten bei der Monetarisierung des
Zusatznutzens Rechnung tragen musste. Dabei war die - sachkundig
besetzte - Beklagte in ihrer Abwägung umso freier, je weniger sie auf
eine valide Datenlage zurückgreifen konnte.
Auch in formeller
Hinsicht hält der Schiedsspruch revisionsrechtlicher Überprüfung durch
den Senat Stand. Die Begründung des Schiedsspruchs entspricht den von
der Rechtsprechung aufgestellten Mindestanforderungen. Die
Abwägungsentscheidung hat Eingang in die Begründung des Schiedsspruchs
gefunden, die wesentlichen rechtlichen Maßstäbe, der maßgebliche
Sachverhalt und der Verfahrensablauf sind in der Begründung dargestellt
worden. Eine weitergehende Pflicht der Beklagten, die erwogenen
Teilrechenoperationen in der Begründung des Schiedsspruchs offenzulegen,
existiert hingegen nicht. Der Kläger wurde im Schiedsstellenverfahren
auch nicht in seinem rechtlichen Gehör verletzt. Eine Gehörsrüge hätte
von ihm entsprechend dem Rechtsgedanken von § 295 ZPO spätestens vor der
abschließenden Beratung und Beschlussfassung der Schiedsstelle erhoben
werden müssen, um dem Vorsitzenden ein konkretes Begehren nach weiterem
Informations- und Klärungsbedarf zu signalisieren. Nach den bindenden
Feststellungen des LSG sind aber keine entsprechenden Einwendungen in
der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Schiedsstelle
protokolliert worden. Die erst im Gerichtsverfahren geltend gemachte
Gehörsrüge ist daher jedenfalls verspätet erhoben worden.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 9 KR 72/16 KL
Bundessozialgericht -B 3 KR 21/17 R
3)
Der Termin in dieser Sache wurde aufgehoben, weil die Beklagte ihre
Revision kurz vorher zurückgenommen hat.
Sozialgericht
Hildesheim - S 20 KR 6/12
Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen - L 16/1 KR 321/14
Bundessozialgericht - B 3 KR
8/17 R
4) Der Senat hat das Urteil des
LSG aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
verworfen, da die Berufung unzulässig war. Nach § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG
bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des
Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die - wie hier - eine
Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft,
750 Euro nicht übersteigt. Der danach maßgebende Beschwerdewert war hier
in Bezug auf die Beklagte als (alleinige) Berufungsklägerin nicht
erreicht, auch haben weder das SG noch das LSG die Berufung nach § 144
Abs 2 iVm Abs 1 S 2 SGG zugelassen. Entgegen der Ansicht des LSG war der
Beschwerdewert für die Beklagte nach dem Gegenstand ihrer Verurteilung -
der nur 506,22 Euro ausmachte - nicht überschritten. Es kann
offenbleiben, wie es sich in Bezug auf den Beschwerdewert bei einem
Kläger verhält, der Krg als Spitzbetrag über eine andere Sozialleistung
(hier Arbeitslosengeld) hinaus begehrt, wenn er in erster Instanz
unterlegen ist. Grundsätzlich ist für Beschwer und Beschwerdewert
nämlich nur der Betrag maßgebend, der für den jeweiligen Berufungskläger
noch im Streit ist. Das war hier für die beklagte Krankenkasse nur der
genannte Betrag, weil das SG sie nur verurteilt hat, dem Kläger Krg zu
zahlen, "soweit der Anspruch nicht durch Auszahlung von Leistungen durch
die Bundesagentur für Arbeit für den gleichen Zeitraum als erfüllt
gilt".
Sozialgericht Mainz - S 3 KR 338/14
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 5 KR 175/16
Bundessozialgericht - B 3 KR 14/17 R